Chinesen sind anders? Deutsche auch! – Teil 2
So vermeiden Sie interkulturelle Fettnäpfchen
Im 2. Teil unseres China-Spezials sprechen wir mit China-Expertin Dr. Tingting Brengelmann über die größten Herausforderungen in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit, wie Sie Missverständnisse aus dem Weg räumen und welche Rolle das chinesische Hierarchiedenken spielt. Außerdem verrät sie praktische Tipps, wie Sie interkulturelle Fettnäpfchen vermeiden können.
Erfahren Sie in Teil 1 unseres China-Spezials, warum es in der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Chinesen zu interkulturellen Missverständnissen kommen kann und wie Sie Ihren Arbeitsalltag mit Kollegen aus dem Reich der Mitte effektiv und zur beidseitigen Zufriedenheit gestalten.
1. Was sind die größten Herausforderungen bei der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit, Frau Dr. Brengelmann?
Klar: Eine große Herausforderung sind die sprachlichen Unterschiede. Um eine Kultur – auch die Arbeitskultur – zu verstehen hilft es natürlich, die jeweilige Sprache zu verstehen. Das schafft Verständigung und gegenseitiges Verständnis.
Die chinesische Kultur ist eine sogenannte „High Context“-Kultur. Vieles versteht sich erst im Kontext und nicht über die direkte Aussage. Das Chinesische legt Wert auf die Schönheit der Sprache und transportiert Information gerne mal „zwischen den Zeilen“. Die deutsche Kultur hingegen gilt allgemein als „Low Context“-Kultur. Während man in Deutschland früh lernt, sich klar, präzise und direkt auszudrücken, lernen Chinesen von klein auf, sich zurückhaltend, wortreich, besonders fein und bewusst mehrdeutig auszudrücken. Das wirkt gebildet und höflich. Obwohl man natürlich weiß, dass Deutsche sachlich und direkt kommunizieren, war dieser Unterschied am Anfang auch für mich eine große Hürde.
Konfliktpotenzial birgt auch der Punkt Hierarchie: Das deutsche und chinesische Hierarchieverständnis weichen stark voneinander ab. Die chinesische Gesellschaft ist stark hierarchisch geprägt. Chinesen sind hierarchische Strukturen gewohnt und akzeptieren diese. Während deutsche Kollegen in der Lage sind, im Team und sogar mit Vorgesetzten auf Augenhöhe sachlich zu diskutieren, achten die chinesischen Kollegen sehr auf die Position, Zuständigkeit und das Vertrauensverhältnis, bevor sie sich aktiv einbringen. Dieser Unterschied ist eine große Herausforderung in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit.
2. Wie lässt es sich im Arbeitsalltag verhindern, dass man in kulturelle Fettnäpfchen tritt?
Die Herausforderung ist: Man weiß nicht, welche Fettnäpfchen es gibt. Sie lauern überall. Allgemein lassen sich drei Schritte nennen, die bei der interkulturellen Zusammenarbeit mit China helfen:
1. Schritt: Neutrale Offenheit
Man darf nicht davon ausgehen, dass das eigene Verhalten generell das richtige ist. Wir sollten uns selbst und unser Handeln hinterfragen. Wenn der chinesische Kollege anders – vielleicht auf den ersten Blick sogar komplizierter – arbeitet als ich, sollte ich versuchen, ihm gegenüber offen zu bleiben. Nach dem Motto: „Komisch, ich kenne das nicht, aber ich werte das nicht sofort. Lieber versuche ich zu verstehen, warum mein chinesischer Kollege so handelt, wie er handelt“. Neben Offenheit ist auch ein echtes Interesse am Anderen wichtig. Das ist die Voraussetzung für interkulturelle Kompetenz und somit auch für die gute Zusammenarbeit mit anderen Kulturen.
2. Schritt: Kultur und ihr Wertesystem verstehen
Um Missverständnisse in der internationalen Zusammenarbeit zu vermeiden ist es wichtig, die andere Kultur und insbesondere ihr Wertesystem zu verstehen. Kennt man die zentralen Werte, lässt sich nachvollziehen, warum sich das Gegenüber in manchen Situationen „anders“ verhält. Dieses Warum zu verstehen ist das A und O – insbesondere in der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit.
Tipp: Damit nichts schief geht, empfehle ich ein interkulturelles Training mit einem erfahrenen China-Experten. Das sensibilisiert für kulturelle Unterschiede und hilft, Konfliktsituationen kompetent zu lösen. Und vor allem: Fettnäpfchen zu vermeiden.
„Do’s und Don’ts“ reichen doch, oder?
Natürlich kann man die Top 10 der interkulturellen Standardregeln für die Zusammenarbeit mit China lernen und sich mit typischen „Do’s and Don’ts“ antrainieren, was richtig oder falsch ist. Dann kennt man grobe Regeln und Tipps, ist aber aufgeschmissen, wenn die Situationen vom Erlernten abweichen. Die Kultur verstanden und kennengelernt hat man nicht. Missverständnisse sind vorprogrammiert.
Für eine gute und reibungslose Zusammenarbeit braucht man ein tieferes Verständnis. Man muss die kulturellen Wurzeln ergründen, das Wertesystem verstehen. Es gibt eben nicht für jede Situation ein Do und Don’t! Wenn man aber das „Warum“ kennt, kann man verstehen, weshalb die chinesischen Partner oder Kollegen handeln, wie sie handeln und entsprechend auf interkulturell schwierige Situationen reagieren.
3. Schritt: Das eigene Verhalten reflektieren und anpassen
Die Frage nach dem Warum gilt auch für die eigene Kultur. Jeder, der mit internationalen Kollegen arbeitet, sollte das eigene Wertesystem kennen und dessen Wirkung auf das eigene Denken und Handeln reflektieren. Das eigene Verhalten in Frage zu stellen heißt nicht, seine eigene Kultur aufzugeben oder sich komplett zu verändern. Es bedeutet, sich bewusst zu machen, dass das eigene Handeln in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich gedeutet wird. Das ist die halbe Miete, um interkulturelle Konflikte zu vermeiden. Über das eigene Verhalten zu reflektieren bedeutet auch, sich Kompetenzen anzueigenen, um in der internationalen Zusammenarbeit effizienter und sicherer auftreten zu können. Das ist ein langer Lernprozess, aber es ist auf jeden Fall notwendig. Es ist ein wichtiger Baustein der interkulturellen Kompetenz.
3. Und wenn ich trotzdem ins interkulturelle Fettnäpfchen trete? Was ist zu tun: offen ansprechen oder galant darüber hinweggehen?
Wenn doch mal etwas in der interkulturellen Kommunikation schiefgeht oder man unsicher ist, ob das Gegenüber alles richtig verstanden hat, hilft Metakommunikation. Das bedeutet: Sprechen Sie über das Gespräch und erklären Sie was gemeint ist. Dies kann beispielsweise durch paraphrasieren (z.B. „Habe ich richtig verstanden, dass du … meinst?“) oder einer näheren Erläuterung, wie Sie etwas gemeint oder verstanden haben, geschehen (z.B. „bei uns sagt man das so, ich hoffe, du hast verstanden wie das gemeint war, nämlich…“). Auch Nachfragen ist erlaubt. Metakommunikation dient dem Ziel, den Verstehensprozess zu unterstützen und interkulturelle Missverständnisse aufzulösen.
Für Deutsche, die fit in direkter Kommunikation sind, ist das meist leichter als für Chinesen, die lieber „zwischen den Zeilen“ und verblümter kommunzieren. Gerade jetzt – in Corona-Zeiten – liegt der Schwerpunkt auf der digitalen Kommunikation. Das erschwert die interkulturelle Zusammenarbeit, denn im virtuellen internationalen Projekt bedeutet das: Die Kommunikation erfordert mehr Arbeit. Es ist besonders wichtig, sich diese Arbeit zu machen, damit die Situation im virtuellen Raum nicht falsch verstanden ird und Konflikte vermieden werden.
Tipp: Nutzen Sie Metakommunikation. Geben Sie so viele Infos wie möglich. Gehen Sie nicht davon aus, dass der chinesische Partner oder Kollege, alles – auch das für Sie vermeintlich Offensichtliche – korrekt versteht und umgekehrt.
Können Sie ein Beispiel geben?
Sie arbeiten mit Ihren chinesischen Kollegen an einem Projekt und bitten in großer Runde allgemein um Feedback und Kritik: „Wie findet ihr das? Was haltet ihr davon?“. In den meisten Fällen werden die Chinesen wenig oder nichts sagen. Das gebietet die Zurückhaltung. Was hätten Sie besser machen können?
Tipp: Fragen Sie explizit inhaltlich nach. Stellen Sie konkrete Fragen. Sprechen Sie die Kollegen persönlich an. Dann bekommen Sie in aller Regel Ihre Antworten.
4. Es kommt immer wieder zu Konflikten im deutsch-chinesischen Team. Was ist zu tun?
Beurteilen Sie die Situation genau: Oft sind es typische Fälle, in denen die Kommunikation nicht funktioniert. Hinterfragen Sie sich selbst: Könnte etwas, das ich gesagt habe, als negatives Feedback verstanden worden sein? Habe ich mit meinem Handeln oder meinen Worten einen Gesichtsverlust meines Gegenübers bewirkt? Habe ich die Hierarchieordnung verletzt?
Ein Beispiel zum Thema Hierarchie:
Ich arbeitete an einem sehr großen und wichtigen Projekt mit der Stadt Peking, dem Erziehungsministerium und dortigen Schulen. In einem virtuellen Meeting saß auch ein ranghoher Direktor. Es war klar: Obwohl ich das Projekt leite und alle Fäden bei mir zusammenlaufen, reicht es nicht, wenn ich durch das Meeting führe. Die Geschäftsführung meines Unternehmens oder jemand von vergleichbarem Rang muss zwingend dabei sein – ganz egal, ob die Geschäftsführung etwas zu sagen hat oder nicht. Ich bin Projekteiterin, werde jedoch kaum angesprochen oder wahrgenommen. Dies wirkt für viele deutschen Kollegen verletzend, respektlos und frustrierend. Nicht jedoch, wenn man weiß, dass das nichts mit Kompetenz zu tun hat und nichts Persönliches ist. So sind die Regeln in China: In offiziellen Meetings muss auf Augenhöhe – in meinen Beispiel: von Direktor zu Direktor – kommuniziert werden. Es handelt sich um fest verankerte kulturelle Werte und Strukturen. Wenn man sie kennt und berücksichtigt, fällt die Zusammenarbeit leichter.
Tipp: Werte und Normen einer anderen Kultur zu verstehen, ist oft nicht einfach. Ein interkulturelles Training hilft bei der Annäherung.
5. Wie schaffe ich es, ein deutsch-chinesisches Team gut zu leiten? Wie verhindere ich Missverständnisse?
Die meisten chinesischen Mitarbeiter sind sehr hierarchieorientiert. Ein eingeschworenes, internationales Team zu formen, scheint auf den ersten Blick schwer. Es ist wichtig, Arbeitsabläufe in konkreten Projekten gemeinsam zu bestimmen. So funktioniert es ohne Missverständnisse und alle sitzen im gleichen Boot. Das gesamte Projekt lässt sich besser steuern, wenn alle an einem Strang ziehen und keine kulturellen Hürden oder Differenzen dazwischen stehen.
Ich gebe ein kleines Beispiel: In einer Firma in Peking arbeiten deutsche und chinesische Kollegen zusammen. Alle Kollegen stehen hierarchisch auf der gleichen Stufe. Es gibt mehr Deutsche als Chinesen im Projektteam. Heißt das, man sollte sich eher an die deutsche Arbeitsweise anpassen? Die Antwort ist nein. Hier sollte keine einseitige Assimilation stattfinden, sondern ein gemeinsamer Weg gefunden werden, der zu diesem Team passt. Legen Sie Kommunikationsregeln fest, die für alle akzeptabel sind.
In einem Team sollten sich Prozesse entwickeln und optimieren können. Klar – das kann zu Beginn zu Konflikten führen, aber nur so findet man mit der Zeit heraus, was für alle das Beste ist. Hier ist Feinfühligkeit und Offenheit gefragt. Tauschen Sie sich bei Teamsitzungen aus und wachsen Sie als internationales Team zusammen. So herausfordernd es am Anfang scheint, mit der Zeit weiß man die unterschiedlichen Charaktere zu schätzen und rückt zusammen. Wichtig ist hierbei ständiges Reflektieren des eigenen Handelns und der Wille, sich ständig zu verbessern.
Tipp: Legen Sie von vornherein Kommunikationsregeln fest. Regeln Sie Konflikte, indem sie regelmäßig im Team besprechen, was gut und was nicht so gut läuft. Natürlich gibt es fest verankerte kulturelle Werte auf beiden Seiten, auf die Rücksicht genommen werden sollte, etwa das chinesische Hierarchiedenken oder die deutsche Liebe zur Planung. Aber in den meisten Punkten der Zusammenarbeit findet sich ein produktiver Mittelweg, mit dem alle leben können!
6. Ihre 5 Tipps für die Zusammenarbeit mit Chinesischen Partnern?
1. Seien Sie offen! Seien Sie bereit, sich auf etwas neues einzulassen.
2. Bleiben Sie höflich, aber bleiben Sie authentisch. Internationale Zusammenarbeit heißt nicht, dass man sich komplett der anderen Kultur anpasst, sondern eine gemeinsamen Basis findet, auf der man gut zusammen arbeiten kann.
3. Üben Sie Zurückhaltung. Fallen Sie nicht gleich mit der Tür ins Haus, indem Sie zu direkt kommunizieren. Gehen Sie rücksichtsvoll mit dem chinesischen Partner um.
4. Verbringen Sie private Zeit mit Kollegen, um Beziehungen aufzubauen.
5. Virtuell: Stapeln Sie lieber tief. Seien Sie geduldig und aufmerksam. Positives Feedback kommt immer gut an.
Erfahren Sie jetzt mehr über die interkulturellen Unterschiede zwischen China und Deutschland in unseren interkulturellen Trainings!